Brauche ich ein Label? - ein Interview mit Annika von Queer Lexikon
Heterosexuell, homosexuell, transgender, aromantisch - diese und viele weitere Label nutzen Menschen um ihre sexuelle oder romantische Orientierung sowie ihr Geschlecht zu beschreiben. Sie helfen uns dabei unsere Identität, wie auch die von Mitmenschen, besser zu verstehen. Manche versuchen hierbei Label zu finden, die ihr Empfinden so genau wie möglich darstellen. Andere bevorzugen umfassendere Label, wie z. B. Annika Spahn, die wir zu ihrem Umgang mit und ihrer Haltung zu Labeln interviewt haben. So sagte sie, dass sie aktuell nur noch das Label 'queer' für sich benutze. Sie habe noch vor einigen Jahren viel Zeit damit verbracht, sich nach immer genaueren Labeln umzusehen und ganz viele verschiedene Label benutzt. Das passe heute für sie nicht mehr.
Dabei nimmt die Anzahl von Labeln stetig zu.
Begriffe wie 'demiromantisch' und 'agender' können sehr präzise jemandes romantische Orientierung und Geschlecht beschreiben. So kenne auch Annika (durch ihre Arbeit bei Queer Lexikon) sehr viele Label und lerne auch immer wieder neue kennen, gerade Label auf dem aromantischen Spektrum oder nicht-binäre Geschlechter. Dieser Zufluss von Labeln ermutigt Menschen dazu, die eigene Identität näher zu erforschen, weswegen einige verschiedene Label ausprobieren, bis sie das passende gefunden haben. Um es mit Annikas Worten zu sagen:
„Wir erkennen immer mehr, wie komplex menschliche Sexualität, Beziehungen, Körper, Geschlechter etc. sein können – und dafür müssen wir erst eine Sprache finden. Die vielen neuen Label entwickeln sich, weil Menschen für das, was sie fühlen, Begriffe prägen – und darüber in Austausch kommen.”
Label sind also ein hilfreiches Mittel um sich selbst besser zu verstehen, diesen Teil der Identität an Mitmenschen zu vermitteln und vor allem auch um Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zu finden. So betonte auch Annika: „Ich finde Label wichtig, um eine Community bilden zu können, um zu merken, dass ich nicht alleine bin. Um politisch aktiv werden zu können.” Vor allem für Menschen die ihre Identität im Detail verstehen wollen, ist die zunehmende Vielfalt und Genauigkeit der Label spannend.
Aber mit diesen immer präziser werdenden Labeln können diejenigen, die nicht zu 100% der Definition entsprechen, doch auch schnell ausgeschlossen werden, oder nicht? Führen sie nicht dazu, dass wir als Gesellschaft Menschen noch mehr in Schubladen stecken?
Annika ist sich dieser Gefahr durchaus bewusst: „Label können zu Schubladen werden,” sagte sie, „von außen und von innen – und dagegen müssen wir stehen. Nicht alle schwulen Männer sind gleich und es gibt nicht nur die eine Art, trans zu sein. Das muss klar sein. Aber Menschen dürfen sich so labeln, wie sie wollen und in ihren Labeln ein Zuhause finden.” Außerdem will vielleicht auch nicht jede*r, dass alle ganz genau über die eigene Orientierung Bescheid wissen. Vor allem bei weniger bekannten Labeln kann es in manchen Situationen angenehmer sein, ein allgemeines Label zu verwenden, statt das spezifische erstmal allen Anwesenden zu erklären. Auch gibt es Menschen wie Annika, die damit zufrieden sind, wenn der soziale Kreis weiß, dass sie nicht hetero sind.
Es ist also allen selbst überlassen, wie spezifisch die Label sind, die sie verwenden, ob sie nur eins, mehrere oder überhaupt keins verwenden, ob ihr Label schon gut etabliert ist oder nicht.
Der persönliche Umgang mit Labeln sollte niemandem vorgeschrieben werden. Und wenn jemand mehr über das Label von jemand anderem wissen will, kann diese Person sich natürlich online oder auch bei der Person selbst informieren. Allerdings weist Annika auch hier darauf hin, dass queere Menschen manchmal müde sind, sich und ihre Identität erklären zu müssen, weswegen es wichtig ist, erst respektvoll zu fragen, ob jemand mehr über ein bestimmtes Label erzählen möchte.
Egal ob Label im eigenen Leben nun eine Rolle spielen oder nicht, sie verdeutlichen wie vielfältig wir Menschen sind, sie zeigen auf welche Arten von Gefühlen wir füreinander hegen und welches Verhältnis wir zu uns selbst und unserem Geschlecht haben können. Das ist etwas das zelebriert werden sollte.