Coming-Out im Wartezimmer: Tipps zum Outing vor deiner Ärztin oder deinem Arzt

Es gibt viele verschiedene Ratgeber zum Coming-Out bei Freund*innen, in der Familie, in der Schule und auf der Arbeit. Ein wichtiger Lebensbereich wird jedoch nur sehr selten thematisiert: Das Coming-Out bei Ärzt*innen.

Ärzt*innen und Therapeut*innen wissen sehr viel über unseren Gesundheitszustand und unsere Lebensumstände. Wir machen sie zu einem Teil unseres Lebens, doch die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität wird häufig aufgrund von Scham oder Ängsten verborgen.

Ist ein Outing bei Ärzt*innen und Therapeut*innen ratsam?

Pauschal kann darauf natürlich keine Antwort gegeben werden. Außer Frage steht, dass in keinem Fall ein “Zwang” zum Outing besteht. Wenn ihr euch outen wollt, dann dürft ihr das natürlich tun; ihr dürft die Entscheidung aber ganz frei treffen. Bei eurer Entscheidung solltet ihr aber immer eure eigenen medizinischen Umstände berücksichtigen. Beispielsweise wenn ihr Trans* seid und euch mit dem medizinischen Personal über notwendige Behandlungen oder euer Wohlbefinden im eigenen Körper sprechen wollt. In dem Fall ist klar, dass die Transidentität angesprochen werden sollte.

Ansonsten solltet ihr hinterfragen, mit welcher Absicht ihr euch als LGBQI+ outen möchtet.
Möchte ich in dem Moment die behandelnde Person lediglich informieren oder erwarte ich danach beispielsweise eine bestimmte Reaktion? Je nachdem, was ich selbst erwarte oder damit erreichen möchte, kann ich gegenüber der Person meine Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung entweder nur benennen oder diese genauer erläutern, beispielsweise die Anrede mit einem bestimmten Pronomen oder Namen. Auch könnte es bei Personen mit weiblichen Geschlechtsorganen in gleichgeschlechtlichen oder asexuellen Beziehungen vorkommen, dass das gynäkologische Fachpersonal annimmt, man würde mit einer Person in einer Beziehung leben, von der man schwanger werden könnte und empfiehlt deshalb automatisch hormonelle Verhütungsmittel. Darüber hinaus kann es während eines Aufklärungsgespräches zu STIs sinnvoll sein, der behandelnden Person gegenüber zu erwähnen, dass man sich in einer nicht monogamen Beziehung befindet oder häufig wechselnde Sexualpartner*innen hat. Hierdurch erhöht sich das Risiko erheblich, sich an einer STI anzustecken. Diese Information hilft dem Gegenüber die Situation und das damit verbundene persönliche Risiko besser einzuschätzen.

Um solche Missverständnis zu vermeiden, kann ein Outing bei der behandelnden Person helfen, sofern man das möchte.
Auch während einer Psychotherapie kann die eigene sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität für den Therapieverlauf und die Planung dieser eine große Rolle spielen. Deswegen sollte mit den Therapierenden darüber gesprochen werden. Die eigene Orientierung/Identität ist schließlich ein Teil der eigenen Person und gemeinsam kann dann überlegt werden, wie umfangreich im Verlauf der Therapie darüber gesprochen werden soll.

Generell ist es sinnvoll, vorher zu überlegen, wie ausführlich ihr das Thema besprechen wollt. Vor manchen Ärzt*innen wollt ihr nur das Minimale besprechen, z. B. wenn es um Misgendern oder die Fehlinterpretation der eigenen heterosexuellen Orientierung geht, bei anderen jedoch ist die eigene Identität oder sexuelle Orientierung der Grund für und/oder Thema der Behandlung und könnte sich darauf auswirken, wie die Behandlung verläuft.

Ob du dich in einer Behandlung oder Therapie outest, ist alleine deine Entscheidung.

Was mache ich, wenn mich meine Ärztin oder mein Therapeut diskriminiert?

In unserer stark heteronormativen (Annahme, dass jede Person heterosexuell ist) und cisnormativen (Annahme, dass sich jede Person mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert) Gesellschaft kann es passieren, dass Menschen durch Unwissenheit bzw. unbewusste Normen und Glaubenssätze diskriminierende oder verletzende Aussagen machen. Das ist natürlich keine Entschuldigung für solch ein Verhalten. Deshalb ist es wichtig, dass du aktiv ansprichst, dass bestimmte Aussagen als diskriminierend empfunden werden. Erkläre, was das Problem ist und gib im Rahmen konstruktiver Kritik die Gelegenheit, es besser zu machen. Qualifiziertes medizinisches Fachpersonal sollte mit dieser konstruktiven Kritik umgehen können.

Falls ihr euch nicht traut die Person allein anzusprechen, könntet ihr nächstes Mal eine euch nahe stehende Person um Hilfe bitten und das Problem zusammen ansprechen. Falls ihr die behandelnde Person jedoch nicht ansprechen möchtet oder die behandelnde Person die Kritik nicht ernst nehmen sollte, könnt ihr auch einfach die Praxis wechseln.

Wenn die behandelnde Person euch diskriminiert und das offene Gespräch mit der Person nicht geholfen hat, dann kann man sich an die zuständige Ärztekammer wenden und dort Beschwerde einreichen. Wann ihr eine Beschwerde bei der Ärztekammer einreicht, ist euch überlassen. Manchmal ist es jedoch leichter einfach die behandelnde Person zu wechseln.

Zusätzlich gibt es auch immer die Möglichkeit sich an LGBTQI+ - Beratungsstellen zu wenden. Mitarbeiter*innen vor Ort oder am Telefon werden mit euch über den Vorfall sprechen, euch beraten und euch mögliche Lösungen des Konflikts aufzeigen.

Wo sind queerfreundliche Praxen verzeichnet?

Manchmal kommt es auch vor dass man eine neue Praxis suchen muss, die offen für queere Menschen ist. Es empfiehlt sich die Suche in Verzeichnissen wie QueerMed Deutschland, Queermed Österreich und Gynformation zu beginnen. Diese geben einen Überblick von Ärzt*innen und haben Praxen mit Bewertungen von queeren Patient*innen. Es kann jedoch vorkommen, dass diese Ärzt*innen keine neuen Patient*innen aufnehmen oder dass man in einer Stadt lebt, für die in keinem der Verzeichnisse Ärzt*innen gelistet sind. Gerade dann bietet es sich an, örtliche LGBTQI+ Anlaufstellen im eignenen Umfeld aufzusuchen, wie das Queerzentrum-Kuss41 in Frankfurt am Main oder das Queer-Leben in Berlin. Diese bieten neben Treffen mit anderen queeren Menschen oft auch Beratungen an. Häufig haben sie durch den stetigen Austausch in ihrem Zentrum viele Erfahrungen mit solchen Situationen. Egal ob über die Anlaufstelle, die Schule, Uni oder ein Hobby, oft sind queere Menschen gut untereinander vernetzt und es kann sicher hilfreich sein, sich mit seinen Freund*innen über Erfahrungen mit Ärzt*innen oder Therapeut*innen zu unterhalten. Freund*innen kennen dich oft besser als es eine anonyme Plattform oder Anlaufstelle und können dir direkt auf dich zugeschnittene Tipps geben.

Vielleicht bist du aber auch schon in Behandlung und möchtest diese fortführen, dann hilft vorsichtiges herantasten. Sprich über queere Themen, ohne sie direkt auf dich zu beziehen. Das kannst du tun, indem du von einer Freundin erzählst, welche selbstverständlich frei erfunden sein kann, oder indem du über eine berühmte Person spricht, welche zur LGBTQI+ Community gehört. Vielleicht reicht es aber auch ganz allgemein aktuelle politische Ereignisse wie die geplante Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes anzusprechen.

Solltest du von Ärzt*innen oder herapeut*innen diskriminiert werden, hast du jederzeit das Recht die Praxis zu wechseln.

Es ist selbstverständlich ganz abhängig von deinem Gefühl, ob du dich vor deiner behandelnden Personen outen möchtest. Um dich sicherer zu fühlen, kannst du vorher ganz unverbindlich ein queeres Thema ansprechen.

Wenn du trotz dieses kleinen Tests, nach deinem Outing diskriminiert wirst oder andere negative Auswirkungen spürst, kannst du dich an Freund*innen, Anlaufstellen oder die Ärztekammer wenden. Sollte sich durch ein Gespräch, das Problem nicht lösen, hast du immer das Recht die behandelnde Person zu wechseln. Bei der Suche nach queerfreundlichen Behandlungsorten kannst du dich an lokale Stellen wenden oder in Verzeichnissen wie QueerMed Deutschland, Queermed Österreich und Gynformation suchen.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Queermed Deutschland, Queermed Österreich & Gynformation